11-04-26 - Hst - Region Heilbronn - Erinnerungen an die Katastrophe

Region 25 Jahre nach Tschernobyl erzählen Menschen, was sie damals gedacht und gefühlt haben

11-04-26_Hst_Region Heilbronn_Erinnerungen an die Katastrophe.jpg

Von unserer Redaktion

Als das Ausmaß der Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren bekannt wurde, war die Betroffenheit bei Menschen der Region groß. In Anbetracht der aktuellen Geschehnisse in Japan sind die Bilder und Erinnerungen an damals wieder präsent.

Apotheker „Als bekannt wurde, dass wir auch hier Radioaktivität abbekommen würden, war ich in der Region wandern, erzählt der Heilbronner Apotheker Dieter Harfensteller. „Ich bin in einen Regenschauer geraten und war bis auf die Haut durchnässt.“ Atom-Regen? Der Apotheker war besorgt, als er Kinder bekommen hat, „aber es ist ja alles gut gegangen“. Schon damals hatte der 62-Jährige ein Reformhaus. „Wir haben eine Annahmestelle für Lebensmittel eingerichtet“, erzählt er. Menschen haben ihr Gartengemüse gebracht. Der BUND hat es abgeholt und nach Radioaktivität gemessen.“ Nach Jodtabletten sei kaum gefragt worden. „Weil bekannt war, dass sie nur bei extremer Belastung sinnvoll sind.“

Förster Der Revierförster in Eppingen, Michael Meny erinnert sich: „So etwas war bis dahin undenkbar und für einen Naturmenschen besonders erschreckend.“ Die Auswirkungen auf die große Distanz habe sich niemand vorstellen können. „Tschernobyl war sehr weit und doch plötzlich relativ nah“, sagt der 52-Jährige. „Ich war damals Revierleiter im Kleinen Odenwald. Wir hatten gerade ein Haus bezogen, und die Betroffenheit war groß, dass wir unseren Salat nicht mehr essen konnten.“ Man habe allen Leuten empfohlen, keine Pilze mehr zu sammeln. Auch für Jäger habe es Einschränkungen gegeben. „Wir haben regelmäßig Wildfleisch zur Beprobung einschicken müssen.“

Landwirt „Wir waren richtig geschockt“, berichtet Richard Heinrich. Der Landwirt aus Öhringen-Möhrighatte Spinat auf vier oder fünf Hektar Feldern stehen, als die Schreckensnachricht aus Tschernobyl eintraf. „Die Feuerwehr ist mit Geigerzählern gekommen und hat gemessen. Und es hat angesprochen“, erzählt der 61-Jährige. Was mit dem Spinat geschah? „Wir haben ihn gemulcht und untergepflügt.“ Ob es eine staatliche Entschädigung gab, weiß er heute nicht mehr. Aber das Thema Tschernobyl ist für ihn längst nicht erledigt: Die Strahlenbelastung werde noch immer überprüft, zuletzt im vergangen Jahr. Ohne Befund.

Jäger Für Peter Reichert ist die Erinnerung an das Unglück von Tschernobyl noch lebendig. Der Pressesprecher der Kreisjägervereinigung Hohenlohe befand sich damals gerade in der Jägerprüfung und arbeitete als Journalist in Heidelberg. „Keiner wusste Bescheid und konnte sagen, was man noch essen kann und was nicht. Man hat Abstand genommen von importierten Waren. Man wusste nicht, wo der Fallout war.“ Die Belastung von Wildfleisch sei weniger ein Thema gewesen – weil Wild damals nach seiner Erinnerung nicht so sehr auf den Speiseplänen stand. Mit Blick auf die Katastrophe in Japan findet der 50-Jährige: „Japan ist sehr weit weg. Punkt. Ich sehe für uns hier keine unmittelbare Bedrohung.“

Feuerwehrkommandant Als Kommandant der Feuerwehr Bad Wimpfen war Reinhold Korb damals an Radioaktivitätsmessungen in der Region beteiligt. "Wir waren geschockt, dass die Katastrophe Auswirkungen bis zu uns hatte", erinnert sich der 65-Jährige. Trotz allem habe er sich aber nicht verrückt gemacht. "Ich habe auf die Medienberichte vertraut." Wenn er heute nach Japan schaut, fühlt sich er ehemalige Kreisverbandsvorsitzende vor allem mit den Kollegen vor Ort verbunden. "Die kämpfen an vorderster Front, ohne Rücksicht auf das enorme gesundheitliche Risiko." Das sei schon bei Tschernobyl so gewesen und wiederhole sich nun bei Fukushima. rho, hed, box, fur

Bildunterzeile oben: Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren hat der Wirtschaftskontrolldienst die Salatköpfe auf den Feldern der Region untersucht. Foto: Archiv/Wendt
Bildunterzeile eins: Dieter Harfensteller Foto: privat
Bildunterzeile zwei: Michael Meny Foto: Nicole Theuer
Bildunterzeile drei: Peter Reichert Foto: privat
Bildunterzeile vier: Richard Heinrich Foto: Hagen Stegmüller
Bildunterzeile fünf: Reinhold Korb Foto: Ute Plückthun

26.04.2011 - Heilbronner Stimme - Region Heilbronn