12-03-12 - Hst - Titelseite - Erinnerung an Japans Atom-GAU

Gedenken - Trauer um Tsunami-Opfer in Asien – Proteste bei deutschen AKW-Standorten

Mit Trauerzeremonien und einer Schweigeminute haben gestern die Japaner ihrer Opfer der Tsunami-Katastrophe von vor einem Jahr gedacht. Um 14.46 Uhr Ortszeit (6.46 Uhr MEZ) verneigten sich die Menschen in den nordöstlichen Katastrophengebieten und anderen Orten. Zu dieser Zeit hatte am 11. März 2011 ein Erdbeben der Stärke 9,0 Japan heimgesucht. Ein dadurch ausgelöster Jahrhundert-Tsunami riss mehr als 15 800 Menschen in den Tod, mehr als 3000 weitere werden noch vermisst. Im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi kam es zum GAU.

In Deutschland haben am Jahrestag Tausende Menschen gegen die Nutzung der Kernenergie demonstriert. Sie forderten eine rasche Umsetzung der Energiewende und einen Neustart beim Umgang mit dem radioaktiven Atommüll. Die größten Protestaktionen fanden an den Atomkraftwerken im bayerischen Gundremmingen und im schleswig-holsteinischen Brokdorf statt.

Nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beteiligten sich an den Demonstrationen und Menschenketten in Brokdorf, Gundremmingen, Neckarwestheim, Gronau, Hannover und anderen Orten mehr als 20 000 Menschen.

In Brokdorf versammelten sich die Demonstranten zu einer vier Kilometer langen Menschenkette. „Wir werden so lange demonstrieren, bis das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz ist, aber nicht nur in Deutschland. Die Radioaktivität kennt ja keine Grenzen“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth, die sich an der Aktion beteiligte, der Nachrichtenagentur dpa.

Zusätzliche Nahrung erhielten die Proteste von dem am Mittwoch bekanntgewordenen Fund verrosteter Fässer mit Atommüll auf dem Kraftwerksgelände im nahegelegenen Brunsbüttel. „Rostende Fässer sind nicht das, was Sicherheit bedeutet“, sagte Roth.

5000 Teilnehmer kamen gestern nach Kirchheim und beteiligten sich am Demonstrationszug zum Kernkraftwerk in Neckarwestheim. Herbert Würth vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim sprach von einer der größten Demos, die es je in Neckarwestheim gegeben habe. Die Teilnehmer gedachten mit Papierkranichen der Opfer der japanischen Atomkatastrophe. Redner wie die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender forderten die Politik dazu auf, die Energiewende konsequent umzusetzen. „Wir werden nicht nachlassen.“ dpa/ang

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Kommentar „Nicht verdrängen“

 


 

Kommentar

Die Menschen in Japan blicken nach vorn: Lehren aus Fukushima müssen alle ziehen.

Von Uwe Ralf Heer

Nicht verdrängen

Es waren beklemmende Bilder, mit denen die Welt noch einmal an die schrecklichen Ereignisse vor einem Jahr erinnert wurde. Japan gedenkt der Opfer des Tsunami und der Fukushima-Katastrophe. Stille Signale gegen das Vergessen. Denn längst nicht alle haben Lehren aus Fukushima gezogen.

Es geht darum, das Reaktorunglück weder zu verdrängen noch aus dem Gedächtnis zu streichen. Vor diesem Hintergrund sind Anti-Atomkraftdemonstrationen wie am umstrittenen französischen Kernkraftwerk Fessenheim oder in Neckarwestheim mehr als nur die üblichen Kernenergieproteste. Es sind notwendige Mahnungen, nicht nachzulassen beim Umbau der Energieversorgung.

Richtig ist, dass Deutschland dabei viel weiter ist als die meisten anderen Länder. Das aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Energiewende nur eingeleitet und noch längst nicht umgesetzt wurde. Der Euphorie nach dem parteiübergreifenden Konsens, der das Abschalten von Atomkraftwerken möglich machte, folgte viel Ernüchterung. Der Ausbau der Stromnetze stockt – auch wegen der Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern. Bei den Speichermöglichkeiten der neuen Energiequellen ist man nicht weitergekommen, im Bereich der Windkraft, Pumpspeicherkraftwerke oder Photovoltaik wird mehr gestritten als gebaut. Fukushima ist erst ein Jahr her – und doch für viele zu weit weg. Die Energiewende muss in Berlin endlich Chefsache und an die oberste Stelle der politischen Tagesordnung gesetzt werden. Nur wenn Tempo gemacht wird, kann Deutschland eine internationale Vorreiterrolle spielen.

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12.03.2012 - Heilbronner Stimme - Titelseite