Das dürfte mal wieder ein neuer Rekord gewesen sein. Am Sonntag um 12 Uhr deckten die erneuerbaren Energieträger 68 Prozent des Bedarfs ab. Nicht im windreichen Nordfriesland oder einem bayerischen Sonnendorf, sondern bundesweit. Rund 38 Gigawatt (GW) haben sie zu dieser Zeit zur Verfügung gestellt. Die konventionellen Kraftwerke hingegen nur 28 GW und das, obwohl zur gleichen Zeit 10,8 GW exportiert wurden.
Quelle: Telepolis
Da das natürlich nur eine Momentaufnahme ist – Nachts scheint die Sonne nicht (zumindest nicht bei uns) und nicht immer haben wir genug Wind – müssen wir uns für eine Analyse, ob bei einem sofortigen Abschalten aller Atomkraftwerke noch jederzeit genug Strom erzeugt werden kann, die in Deutschland verfügbare Erzeugungskapazität anschauen.
Die Bundesnetzagentur stellt online eine Kraftwerksliste zur Verfügung. Anika Limbach von Anti-Atom-Bonn hat diese analysiert:
Ein Blick auf die neuen Zahlen und Fakten bestätigt: Wir könnten sofort auf Atomstrom verzichten und gleichzeitig 15 der klimaschädlichsten Kohlemeiler abschalten:
Der schnelle, vollständige Umstieg auf Erneuerbare Energien erfordert natürlich mehr als das Stilllegen nuklearer und fossiler Kraftwerke. Er gelingt vor allem, indem wir zügig das Rückgrat einer neuen Energiewirtschaft aufbauen. Dieses wird aus intelligenten Netzen, Lastmanagement, doppelt nutzbaren Speichersystemen und sog. Kombikraftwerken bestehen. Der verstärkte Ausbau Erneuerbarer Energien muss damit verbunden werden. Eine ebenso wichtige Rolle spielen Maßnahmen zur Energieeffizienz und -einsparung. Das enorme Potential v.a. in der Industrie ist noch längst nicht ausgeschöpft. Je schneller wir all dies vorantreiben, desto schneller können wir auch auf Kohlestrom verzichten.
Das Umgekehrte gilt allerdings genauso: Je schneller wir Großkraftwerke abschalten, desto dynamischer entwickelt sich die Energiewende. Da Atomkraftwerke besonders gefährlich sind und ein schwerwiegender Unfall jeden Tag, den sie länger am Netz bleiben, passieren kann, müssen sie vorrangig abgeschaltet werden.
Auch die Auswirkungen des Klimawandels sind dramatisch. Deshalb fordern wir neben dem nuklearen Sofortausstieg das Stilllegen ineffizienter Braunkohlemeiler. Dass dies auf einen Schlag möglich ist, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden oder importabhängig zu werden, zeigt unsere Auswertung der aktuellen Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur.
Bundesweite Analyse
Tabelle 1: Installierte Krafwerksleistung bundesweit (ohne Kaltreserve)
Fossile Kraftwerke 76,3 GW AKW 12,1 GW Biomasse / Biogas 5,9 GW Sonstige EE 0,8 GW Laufwasser 3,8 GW Speicherwasser 1,3 GW Pumpspeicherkraftwerke 9,2 GW Kleine KWK-Anlagen (≤ 10 MW) 3,5 GW Windenergie 30,3 GW Photovoltaik 32,5 GW Summe installierter Leistung 175,7 GW Nicht einsetzbare Leistung (75 % Laufwasser, 20 % Speicherwasser, 100 % Photovoltaik, 99 % Windkraft) 67,5 GW Reservehaltung (Revisionen, Systemdienstl., Ausfälle) 10,7 GW Gesicherte Leistung 2012 97,5 GW Jahreshöchstlast in Deutschland 80 GW Verbleibende Leistung mit AKW 17,5 GW Verbleibende Leistung ohne AKW 5,4 GW Der Netto-Zubau 2013 wird 1,2 bis 6,9 GW betragen. Die Überkapazität stiege damit auf mindestens 18,7 GW. Angenommen wird hier ein Extremfall, der im Grunde nur theoretisch auftritt, nämlich der Fall, dass bei extrem hohem Stromverbrauch in Deutschland die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht und darüber hinaus die gesamte Reserveleistung gebraucht wird. Selbst in diesem Fall gäbe es ohne Atomkraftwerke also noch eine Überkapazität von 5,4 GW!
Regionale Analyse
Oft wird auch das Argument angeführt, die durch einen Sofortausstieg entstehende “Stromlücke” im Süden Deutschlands sei zu groß. Stimmt das wirklich? Schauen wir uns die Zahlen an:
Tabelle 2: Installierte Krafwerksleistung in Baden-Württemberg und Bayern (ohne Kaltreserve)
Kapazitäten BaWü Kapzitäten Bayern Fossile Kraftwerke 6,2 GW 7 GW AKW 2,7 GW 5,3 GW Biomasse / Biogas 0,7 GW 1,1 GW Laufwasser 0,9 GW 2,1 GW Speicherwasser und Pumpspeicherkraftwerke (inkl verfügb. Leistung im Ausland) 2,8 GW 1,8 GW Kleine KWK-Anlagen 0,6 GW 0,7 GW Windenergie 0,6 GW 0,7 GW Photovoltaik 4,5 GW 9,3 GW Summe installierter Leistung 19 GW 28 GW Nicht einsetzbare Leistung 6,4 GW 11,9 GW Rerserve (Ausfälle nach Wegfall der AKW) 1,2 GW 1 GW Gesicherte Leistung 2012 11,4 GW 15,1 GW Netto-Zubau 2013 (> 10 MW) 0,8 GW – 0,2 GW Geschätzter Netto-Zubau kleiner Anlagen (< 10 MW) 0,2 GW 0,3 GW Gesicherte Leistung 2013 12,4 GW 15,2 GW Jahreshöchstlast 10,7 GW 11,4 GW Verbleibende Leistung 2013 1,7 GW 3,9 GW Verbleibende Leistung ohne AKW – 1 GW – 1,5 GW Dieses potentielle Stromdefizit von 1 GW und 1,5 GW lässt sich durch die Versorgung aus den benachbarten Bundesländern ohne Weiteres kompensieren.
Bayern könnte beispielsweise Strom aus dem Rhein-Main-Gebiet oder aus Ostdeutschland importieren. Die verbleibende Leistung der neuen Bundesländer (Gebiet des ÜNB 50Hertz abzügl. Hamburg) beträgt mind. 4,6 GW und das entsprechende Übertragungsnetz hat eine Leitungskapazität von 2,5 GW. Auch die nördlich von Baden-Württemberg angrenzende Region von Amprion verfügt über genügend Stromüberschüsse. Die Kapazität des Übertragungsnetzes, das beide Regionen verbindet, ist mit 6,2 GW mehr als ausreichend.
Gründe des Engpasses im Winter 2012
Der vielfach erwähnte Stromengpass während der Kälteperiode im Februar 2012 entstand nicht wegen angeblich fehlender Kapazitäten. Er wurde bewusst herbeigeführt durch Manipulationen von Stromhändlern, in deren Folge massenhaft Strom ins Ausland exportiert wurde. Darüber hinaus war die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken zeitweise unterbrochen, weil die Gaslieferungen ausblieben, was wiederum mit unzureichenden Verträgen zusammenhing. Beide Vorgänge wären also vermeidbar gewesen.
Nicht Gaskraftwerke, sondern Atomkraftwerke abschalten!
Gaskraftwerke sind wegen ihrer hohen Flexibilität für die Energiewende unabdingbar, zumindest für die Übergangszeit. Sie sollten deshalb nicht stillgelegt werden. Im Moment jedoch zeigt sich ein Trend genau in diese Richtung:
Wegen der Überkapazitäten auf dem Strommarkt drohen einige Gaskraftwerke unwirtschaftlich zu werden, was zur Folge hat, dass die Energiekonzerne diese stilllegen wollen. Bisher konnte das weitgehend verhindert werden (u.a durch die Umwandlung zu Reservekraftwerken). Doch womöglich schon ab Ende 2013 könnten eine ganze Reihe von Gaskraftwerken (bis zu 1,8 GW) vom Netz gehen, und zwar ausschließlich in Süddeutschland – genau dort, wo zwei Drittel der noch laufenden Atomkraftwerke stehen. Fast alle der zu erwartenden Neubauten (1,5 GW Gaskraftwerke) befinden sich dagegen nördlich der Mainlinie.
Dieser Schwund muss aufzuhalten werden, und zwar schnell. Ein sehr wirksames Mittel ist, die Atomkraftwerke sofort abzuschalten. Das schafft wieder Freiräume für den Gas-Strom. Ein anderes Mittel könnte die Errichtung eines Kapazitätsmarktes sein, aber dies nimmt ein paar Jahre in Anspruch. So lange können wir nicht warten.
Die schlimmsten Dreckschleudern stilllegen
Wie viel Wert das Abschalten von Kohlekraftwerken für die Umwelt hat, bemisst sich nicht an deren Leistung, sondern an ihrem CO2-Ausstoß. Im CARMA-Ranking sind die Braunkohlekraftwerke Niederaußem in NRW (9 Blöcke) und Jänschwalde in Brandenburg (6 Blöcke) die schlimmsten Klimakiller Deutschlands.
In der Zu- und Rückbau-Liste der BNetzA ist ein Netto-Zubau von 6,9 GW für das Jahr 2013 angegeben. Der Zubau der Erneuerbaren Energien wird dabei nicht berücksichtigt. Der Großteil besteht aus Steinkohlekraftwerken, deren Bau sich wegen technischer Probleme wahrscheinlich verzögern wird. Zwei Kraftwerken ist sogar gerichtlich die Genehmigung entzogen worden. Es bleibt zu hoffen, dass die Inbetriebnahme auch der anderen Kohlekraftwerke verhindert werden kann. Der Netto-Zubau reduziert sich also womöglich auf 1,2 GW (überwiegend Gaskraftwerke).
In jeden Fall können wir abzüglich der AKW mit einer Überkapazität von insg. 6,6 GW für das Jahr 2013 rechnen. Das entspricht der Leistung der Krafwerke von Niederaußem und Jänschwalde. Durch ihre Stilllegung würde sich die CO2-Emission in Deutschland um 51,9 Mio. Tonnen pro Jahr verringern. Das sind 20,8 % von dem, was deutsche Kohlekraftwerke insgesamt ausstoßen, sowie 6,5 % der Gesamt-CO2-Emission in Deutschland.
Maßnahmen zur Lastreduktion können innerhalb kürzester Zeit einen weiteren Teil des Kohlestroms überflüssig machen. Das enorme Potential der metallverarbeitenden Industrie beispielsweise ist recht schnell zu aktivieren.
Auch klug platzierte Speicher können Kohlekraftwerke (“must-run-Kapazitäten”) ersetzen.
Fazit
Das sofortige Abschalten aller Atomkraftwerke und besonders klimaschädlicher Kohlekraftwerke ist also auch im energiewirtschaftlichen Sinne möglich. Dass es aus anderen Gründen längst erforderlich ist – aufgrund der enormen Gefahren, des ständig wachsenden Atommülls und des Klimaschutzes – steht außer Frage.
In Bezug auf die Energiewende ist es ebenfalls notwendig. Keine Kraftwerke sind so unflexibel und passen so wenig zu den Erneuerbaren Energien wie Braunkohle- und vor allem Atomkraftwerke. Darüber hinaus könnte durch den Sofortausstieg das Stilllegen von Gaskraftwerken in Süddeutschland verhindert werden.