Die Rechnung kommt am Schluss:
wenn ein AKW stillgelegt wird, dann hinterlässt es nicht nur den hochradioaktiven Müll der Brennelemente in Reaktor und Abklingbecken, in den Castoren im Standortlager und in Gorleben, nicht nur das hochradioaktive Material z.B. in La Hague und Sellafield inklusive der angrenzenden Meere sowie der aus diesen Atomfabriken beschickten russischen Freiluft-Deponien, es hinterlässt nicht nur den Müll des Uranabbaues und der Brennelemente-Produktion und auch nicht nur die über Jahrzehnte hinweg per Abluft und Abwasser verbreiteten strahlenden Stoffe, nicht nur (besonders im Falle Obrigheim) den durch Karlsruhe gegangenen Skandal-Müll in der Asse. Auch nicht nur den schon im laufenden Betrieb „entsorgten“ schwach- und mittelradioaktiven Müll, wie er dann z.B. als „freigemessener“ Sondermüll unter Heilbronn im Salzbergwerk oder an ähnlichen Orten versteckt wurde oder auch einfach noch in Kellern und Lagerräumen des AKWs liegt.
Nein, so ein AKW ist selbst radioaktiver Müll. Strahlende und kontaminierte Anlagen, Werkzeuge, Gebäude. Hunderttausende Tonnen an Material. Wohin damit? Selbst in einem ehemaligen Steinbruch wie in Neckarwestheim fabuliert man davon, „wieder eine grüne Wiese“ schaffen zu wollen. Dabei gibt es folgende Hauptprobleme:
- Radioaktivität lässt sich nicht waschen, verbrennen, chemisch umwandeln usw.
- Jeder einzelne Handhabungsschritt führt zu einer Vermehrung des radioaktiven Mülls. Es kann zwar teilweise gelingen, Radioaktivität in kleinerer Stoffmenge höher anzureichern, trotzdem steigt zwangsläufig mit jedem Schritt die Gesamtmenge aus unterschiedlich stark strahlenden Stoffen.
- Es handelt sich schlicht um extrem große Materialmengen.
- Radioaktivität bleibt über unermesslich lange Zeiträume. Selbst relativ schnell zerfallende Stoffe haben nach 10 Halbwertsteiten immer noch 1 Promille der Ausgangsstrahlung, und es sind evtl. ebenfalls wieder strahlende neue Nuklide entstanden. Und die Faustregel ist: was schneller zerfällt, strahlt dafür stärker. Also reicht es nicht, einfach auf das Abklingen der Radioaktivität zu warten.
Welche Strategien haben deshalb die Atom-Verantwortlichen?
- Verharmlosen und Vertuschen. Wenn sich Öfeentlichkeitsbeteiligung nicht ganz verhindern lässt, dann soll sie wenigstens ausgebremst werden.
- Die Lüge mit den Grenzwerten: obwohl wissenschaftlich haltlos, wird noch immer argumentiert, Gefahren bestünden erst bei Ãœberschreitung von Grenzwerten. Dabei sind Grenzwerte für Radioaktivität nichts anderes als ‚Optimierungs’rechnungen zwischen Aufwand für die Betreiber einerseits und Schaden für die Bevölkerung und die Natur andererseits.
- „Freimessen“ und „Freiputzen“ vom radioaktivem Müll, um möglichst große Mengen aus der Strahlenschutzüberwachung entlassen und ggf. sogar in die Wertstoffwirtschaft abgeben zu können.
- Verheimlichen des Verbleibs sowohl des offiziell noch radioaktiven als auch vor allem des „freigemessenen“ Mülls.
- Die Fiktion, man kenne sich mit dem Rückbau von AKWs aus und es handele sich dabei um bewährte Arbeitsabläufe, obwohl in Wirklichkeit nichts davon Routine und vollständig beherrscht ist. Was in einer nicht verstrahlten Industrieanlage beim Abriss verhältnismäßig simpel sein mag, ist in einer verstrahlten Anlage ein Kunststück oder gleich ganz unmöglich. Für freigesetzte Radioaktivität ist es übrigens kaum von Bedeutung, ob sie wegen unsystematischer Schlamperei oder wegen eines systematischen Spardiktats in die Umwelt kommt.
Fazit: als wäre der Betrieb eines AKWs nicht schon schlimm genug, so setzt der Abriss noch extra Gefahren und Umweltschäden hinzu. Und manches Problem, das während des Betriebs noch unter dem Teppich gehalten werden konnte, tritt beim Abriss erst offen zu Tage.
Wie gut, dass die AKW-Betreiber nicht einfach machen können was sie wollen, sondern unter guter öffentlicher Kontrolle stehen, oder?
Falsch!
Es sind alleine die Betreiber, die über die grobe Strategie und die Details der Stilllegung und des Abrisses entscheiden. Die Atomaufsicht kann Auflagen machen, aber nicht das Vorgehen festlegen. Kontrolle durch die Atomaufsicht heißt auch keinesfalls öffentliche Kontrolle, wie wir am Beispiel Obrigheim sehen. Sondern die Öffentlichkeit wird, abgesehen von einzelnen oberflächlichen Alibi-Veranstaltungen, bewusst dumm gehalten. Überall dort, wo es besonders auf Transparenz ankommt, wie bei der Erfassung des radioaktiven Inventars und bei den Deponie- und Verwertungswegen des Materials, da wird gemauert. Und das Vertrauen in die baden-württembergische Atomaufsicht ist ohnehin schwach, ist die Landesregierung doch mit der linken Hand Aufsicht und mit der rechten Hand Betreiber.
Nun zur aktuellen Situation:
Am 27.5.13 veröffentlichte die badenwürttembergische Atomaufsicht in der Rhein-Neckar-Zeitung die folgende Amtliche Bekanntmachung der „3. Abbaugenehmigung (3. AG) für das Kernkraftwerk Obrigheim“.
Obwohl der Abriss des AKWs in Obrigheim überregionale Auswirkungen hat, sind weder die Bekanntmachung noch die Genehmigung überregional veröffentlicht oder einzusehen, auch nicht auf der Homepage des Ministeriums. Man hat jetzt gerade einmal 2 Wochen Zeit (bis Di. 11.6.), um die Genehmigung vor Ort im Ministerium und im Rathaus Obrigheim einzusehen, zu recht beschränkten Öffnungszeiten, und vermutlich die zugrunde liegenden Unterlagen. [Update 4.6.13: heute nachmittag wurde der Genehmigungstext doch noch online gestellt]
Die Bekanntmachung enthält einen üblen Trick, mit dem man die Blockade der Öffentlichkeitsbeteiligung bei drei der 4 Genehmigungsteile formal rechtfertigen will. Es geht um den Widerspruch, dass die 3. AG einerseits relevante Genehmigungsinhalte hat, die zum Zeitpunkt der 1. Stilllegungs- und Abbau-Genehmigung (1. SAG) noch nicht bekannt waren, und dass die Behörde gleichzeitig behauptet, alle wesentlichen Inhalte seien schon in der Öffentlichkeitsbeteiligung der 1. SAG enthalten gewesen.
Da fragt man sich: würde die 1. SAG tatsächlich schon alle relevanten Inhalte behandeln, wofür braucht es dann überhaupt noch die 2. SAG und die 3. und 4. AG?
Wir müssen uns bei GKN 1/2 und KKP 1/2 auf den gleichen Trick mit dem „Stilllegungsreglement“ einstellen.
Konkret sieht dieser Winkelzug so aus:
„Der Abbau im Rahmen dieses Bescheids erfolgt unter Geltung des mit der 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung vom 28.08.2008 (1. SAG) genehmigten und mit der 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung vom 24.10.2011 (2. SAG) in geänderter Form weitergeführten Stilllegungsreglements des KWO. Das Stilllegungsreglement ist nicht Gegenstand dieses Bescheids und wird durch diesen Bescheid
nicht geändert.“
Immerhin wird in dieser Formulierung zugegeben, dass das „Stilllegungsreglement“ damals durch die 2. SAG verändert worden ist. Dies könnte ein wichtiges Argument zur Stützung der Klage der Initiative AtomErbe Obrigheim gegen die 2. SAG sein.
Auch bemerkenswert:
In der Rechtsbehelfsbelehrung steht, dass der Bescheid nach dem 11.6.13 auch gegenüber Dritten als zugestellt gelte, „die keine Einwendungen erhoben haben“. Wie hätte man denn Einwendungen erheben können, wenn Minister Untersteller solche zu keinem Zeitpunkt zugelassen hat?
Vor wenigen Tagen hat die EnBW erste Genehmigungsanträge zu Stilllegung und Abbau der Blöcke 1 in Philippsburg und Neckarwestheim beim Umweltministerium eingereicht.
Die Anträge können hier abgerufen werden:
Antrag der Stilllegungs- und ersten Abbaugenehmigung im GKN I und KKP 1
Schon der kurze Begleittext enthält bemerkenswerte Details.
Weitere Infos auf der Homepage des Untersteller-Ministeriums:
Pressemitteilung zur 3. AG für KWO
Seite zur informellen Öffentlichkeitsarbeit zu KWO
Einige frühere Genehmigungen baden-württembergischer Atomanlagen
Weitere Links:
arte-Themenabend AKW-„Rückbau“ und „Endlagerung“
Initiative AtomErbe Obrigheim
[…] Den Kostenfaktor hat auch das in der Nähe von Obrigheim gelegene Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn im Blick, und konstatiert richtig: Die Rechnung kommt am Schluss! […]