Transmutation
03.09.11
von Annette Teusch
Frau Schavan will ausgerechnet mit der Transmutationstechnik den Atomausstieg möglich machen! *
Damit hĂ€lt sie der Atomindustrie eine komfortable HintertĂŒr offen, in 10 – 20 Jahren einen umfangreichen Wiedereinstieg in die Atomkraft zu versuchen!
Die Atomlobby stellt die Transmutation gerne als geniale Idee zur Beseitigung von AtommĂŒll dar. Doch der angebliche Geniestreich entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Etikettenschwindel: Eine Transmutationsanlage wie sie derzeit favorisiert wird und mit dem geplanten Experimentalreaktor MYRRHA in Entwicklung ist, ist ein Brutreaktor vom neuen Typ „Accelerator Driven System“ (ADS, s. [2],[5]).
WĂ€hrend im herkömmlichen Schnellen BrĂŒter die fĂŒr den Brut- und Verbrennungsprozess notwendigen schnellen Neutronen aus zugesetztem hochangereichertem Uran stammen, werden sie im ADS mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers (accelerator) erzeugt. Das hat den Vorteil, dass das ADS leichter zu steuern ist und im subkritischen Betrieb gefahren werden kann (KritikalitĂ€t s.[3]). DafĂŒr gibt es aber neue Risiken, z.B. ist das KĂŒhlmittel (flĂŒssiges Blei-Wismut-Gemisch) so aggressiv, dass selbst Edelstahl angegriffen wird, so dass Beschichtungen notwendig werden [9]).
Theoretisch könnte das ADS mit Plutonium (Pu) und Minoren Actiniden (MA, v.a. Neptunium, Curium, Americium) als Brennstoff laufen, die mit einer weiterentwickelten Wiederaufarbeitungstechnologie („partitioning“) aus abgebrannten BrennstĂ€ben extrahiert werden sollen. Mit diesem sogenannten „dedicated fuel“ könnte es aber in einem Störfall erhöhte Sicherheitsrisiken geben ([4], S.274).
Aus diesem Grund wird das ADS mit einem der Brutstoffe Thorium (Th-232), abgereichertes Uran (U-238) oder Natururan (Hauptbestandteil U-238) betrieben. Dabei wird (wie auch im schnellen BrĂŒter) zunĂ€chst aus U-238 das (besonders Kernwaffen-geeignete) Plutonium-Isotop Pu-239 erbrĂŒtet und anschlieĂend weiterverbrannt. Alternativ wird aus Th-232 das spaltbare (und damit waffenfĂ€hige) Uranisotop U-233 erbrĂŒtet und anschlieĂend weiterverbrannt.
Diesem Brut-/Brennstoffgemisch werden Pu und MA’s zugesetzt oder in separaten BrennstĂ€ben an anderer Stelle im Reaktorkern zu verbrannt. (Beim Schnellen BrĂŒter im kritischen Betrieb kann man auch Pu zusetzen, doch bei der Verbrennung der MA’s gĂ€be es ebenfalls zu groĂe Sicherheitsrisiken.)
Der Exerimentalreaktor MYRRHA soll zunÀchst mit Mischoxid- (MOX) BrennstÀben aus Uran und 30-35% Pu betrieben werden [1].
MĂŒsste ein ADS nur die Energie erzeugen, die zur Transmutation (TM) von Pu und MA’s notwĂ€ndig wĂ€re, könnte es deutlich unter dem KritikalitĂ€tspunkt k=1 betrieben werden (k=0,77 siehe [2], S. 15). Zum Neutronen-Multiplikationsfaktor k (manchmal auch k_eff genannt) siehe [3].
FĂŒr den geplanten Experimentalreaktor MYRRHA ist aber schon zu Beginn ein Betrieb relativ knapp unter der KritikalitĂ€tsgrenze k=1 geplant, so dass möglichst viel ĂŒberschĂŒssige Energie erzeugt wird, die ins Netz eingespeist werden kann. Nach [1] soll MYRRHA zunĂ€chst mit k=0,955 laufen. Damit erzeugt MYRRHA nach der Formel in [2] schon zu Beginn ca. 6,36 mal mehr Energie, als die Anlage zur TM des Plutoniums benötigt.
Ein kommerziell betriebenes ADS liefe noch nÀher an der KritikalitÀtsgrenze. Bei k=0,97 (siehe z.B. [2]) ist der Energiegewinn bereits 10-fach, bei k=0,98 das 15-fache im Vergleich zur Energiemenge, die zur TM benötigt wird. Es geht also (zumindest auch) um Energieerzeugung.
Hinzu kommt, dass man die Transmutationstechnologie nicht getrennt von der ĂŒbrigen Weiterentwicklung der Kerntechnik betrachten kann: Die Atomlobby trĂ€umt von ganzen Reaktorparks mit Leichtwasserkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlage, Brennelementefertigung, Transmutationsanlage und evtl. noch Schnellem BrĂŒter. Das nennen sie dann „Reaktorsystem der 4. Generation“ ([6],[6a]). Die Aufgabe der Transmutationsanlage ist hier vor allem die Verbrennung der Minoren Aktinide ([5], unten).
Dass es bei der Entwicklung der Transmutation nicht um eine endgĂŒltige Beseitigung von AtommĂŒll geht, offenbart ein Artikel im offiziellen Fachblatt der Kerntechnischen Gesellschaft „atw“ (Atomwirtschaft). In der Juli-Ausgabe 2010 heiĂt es auf S. 446, dass …Â (es folgt eine Ăbersetzung aus dem Englischen:)
… nach (statistischen) Prognosen etwa im Jahr 2060 die EndlagerkapazitĂ€ten fĂŒr Transurane (gemeint sind hier Neptunium, Plutonium, Curium und Americium) erschöpft sein werden. (…) Fortgeschrittene Wiederaufarbeitungstechnologien („Partitioning“) und Transmutationstechnologien (P&T) sind Inhalt zahlreicher Forschungsprojekte in Verbindung mit dem MA- Manegement in Kraftwerkssystemen der 4. Generation.
Die Partitioning- und Transmutations-Technologie kommt im Ăbrigen fĂŒr die bereits verglasten hochradioaktiven AbfĂ€lle aus Wiederaufarbeitung (z.B. in Gorleben [11]) nicht in Frage ([10]). FĂŒr den schwach- und mittelradioaktiven MĂŒll („gelbe FĂ€sser“) war sie ohnehin nie gedacht.
Die Weiterentwicklung dieser Technologie macht also nur Sinn im Zusammenhang mit zukĂŒnftigen „Reaktorsystemen der 4. Generation“. Dass dies Teil des neuen Energiekonzeps der Bundesregierung sein soll, ist einfach ein Skandal!
In diesem Zusammenhang sei erwĂ€hnt, dass aufgrund des Betriebs mit schnellen Neutronen ein ADS im Prinzip (rein technisch Ă€hnlich gut wie ein Schneller BrĂŒter) auch zur Produktion atomwaffentauglichen Materials missbraucht werden kann, wenn oder wo dies politisch gewollt ist. Nach meiner persönlichen EinschĂ€tzung wĂŒrde dabei die gute Steuerbarkeit des Systems es noch erleichtern, den „optimalen“ Zeitpunkt zur Entnahme des waffenfĂ€higen Materials abzupassen, d.h. jenen Zeitpunkt, zu dem schon möglichst viel U-233 bzw. Pu-239 erbrĂŒtet, aber noch möglichst wenig davon zu Spaltprodukten weiterverbrannt ist.
Das Argument der Atomlobby („atw“ Juli 2010, S.448-449), das Proliferationsrisiko sei bei der Transmutation gering da dem Brennstoff MA’s zugesetzt werden, finde ich unlogisch: Geht doch die Transmutation Hand in Hand einher mit einer fortgeschrittenen Wiederaufarbeitungstechnologie („Partitioning“), bei der Plutonium und Minore Aktinide wieder fein sĂ€uberlich voneinander getrennt werden. Das Argument wĂŒrde lediglich bei Staaten greifen, denen eine eigene Wiederaufarbeitung verweigert wird (z.B. „Schurkenstaaten“). Dann lĂ€sst sich aber fragen, warum man diesen Staaaten ĂŒberhaupt eine solche Technologie liefern muss. AuĂerdem können sich politische VerhĂ€ltnisse im Laufe der Zeit erheblich verĂ€ndern.
Zur ProliferationsprĂ€vention blieben also nur die von der IAEO vorgeschriebenen Kontrollmessungen, wie bei den bisher ĂŒblichen Kerntechnologien auch.
Bei dieser Gelegenheit will ich noch darauf hinweisen, dass neben der Entwicklung der „Gen. IV – Reaktorsysteme“ derzeit auch intensiv an der Entwicklung von Fusionsreaktoren gearbeitet wird. In Dt. v.a. in Karlsruhe, JĂŒlich, Garching und Greifswald. Z.B. entsteht derzeit in Greifswald ein experimenteller Fusionsreaktor „Wendelstein 7-X“ ([7],[8]).
Quellenangaben:
* www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,767225,00.html
[1] myrrha.sckcen.be
[2] www.gsi.de/documents/DOC-2003-Jun-32-2.pdf
[3] de.wikipedia.org/wiki/KritikalitÀt
[4] www.iaea.org/OurWork/ST/NE/inisnkm/nkm/aws/fnss/fulltext/te_1356_web.pdf
[5] www.iket.fzk.de/cube/index.php
( in diesem Link bezeichnet
PWE=Pressurized Water Reactor=Druckwasserreaktor (gehört zu den LWR’s),
fr=fast reactor=Schneller BrĂŒter,
MA Burner=Transmutationsanlage,
UOX=Uranoxid- BrennstÀbe,
MOX=Mischoxid-BrennstÀbe (enthalten neben Uran einen geringen Anteil Plutonium aus Wiederaufarbeitung))
[6] www.iea.org/papers/2010/nuclear_roadmap.pdf
[6a] www.snetp.eu/www/snetp/images/stories/DocsAboutSNETP/sra2009.pdf
[7] de.wikipedia.org/wiki/Wendelstein_7-X
[8] www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/forschung/w7x/stand/index.html
[10]http://www.kotting-uhl.de/cms/default/dok/370/370896@de.html
Zum europÀischen Fusions-Forschungsprogramm:
www.efda.org/eu_fusion_programme/eu_fusion_research_institutions.php
Ein Strategiepapier zur Fusionsforschung in Deutschland:
www.fusion.kit.edu/img/Strategiepapier.pdf
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Quelle: scharf-links, 03.09.2011, http://www.scharf-links.de/42.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=18276&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=dec6af6fb7
Transmutation: Wiedereinstieg in Atomkraft in 10-20 Jahren (Energiekonzept der Bundesregierung)
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